Kraft der Versicherung

Thomas Neumann ist einer der führenden Experten im Sozialversicherungsrecht. Nach einer Laufbahn in den öffentlichen Institutionen gibt er heute sein Know-how in der Privatwirtschaft weiter.

Es ist nicht viel los im Sommer rund um den Hauptbahnhof. Auch Thomas Neumann war mit der Familie auf Urlaub und ist den ersten Tag wieder im Büro. Das Headquarter der BDO ist wohltemperiert. „Ich merke nicht, wie heiß es in Wien ist“, sagt Neumann fast entschuldigend, denn erstens käme er gerade aus dem kühlen Holland und zweitens sei sein Alltag über weite Strecken klimagekühlt.
 

Von Floridsdorf nach Holland

„Ich bin ein echter Wiener Floridsdorfer, der den Bezirk nie verlassen hat“, lacht er. Geboren 1971 wuchs er als Einzelkind in „Transdanubien“ auf, ging dort zur Volksschule und ins Gymnasium und war nach eigener Aussage ein bekennender „Streber“. Nach der Matura entschied er sich aus pragmatischen Gründen für ein Studium der Rechtswissenschaften. Dass dies eine goldrichtige Entscheidung war, stellte sich schon in einer der ersten Vorlesungen heraus. So wurde er dann schon bald Studienassistent bei Rudolf Hoke am Institut für Rechtsgeschichte. Doch auch andere prägten ihn: etwa Heinz Mayer, Rudolf Welser oder Manfred Burgstaller, deren fachliche und rhetorische Fähigkeiten ihm bis heute Vorbild sind. 1994 beendete er das Studium und ging ins holländische Groningen, um dort Europarecht zu studieren und sich mit den Vorläufern der EU im Rahmen einer Dissertation zu befassen.

„Sogar meinen Zivildienst habe ich in Floridsdorf absolviert, als Schülerlotse“, lacht er und erinnert sich an eine Zeit, in der er sich intensiv mit seinen Zukunftsplänen auseinandersetzte. Während seines Gerichtsjahrs am Bezirksgericht Floridsdorf sollte der Satz eines Richters nach einem Mietrechtsstreit für Neumann weichenstellend werden. „Fachlich schwieriger ist nur noch das Sozialversicherungsrecht“, hörte der junge Jurist und begriff das als Herausforderung. 1998 begann er in der Sozialversicherungsanstalt der Arbeitgeber (SVA) just in der Phase, als dort der Fachbereich für die „Neuen Selbständigen“ aufgebaut wurde. „Das war Neuland, niemand hatte ein Vorwissen und ich konnte mitgestalten.“

Schnell wurde Martin Gleitsmann in der österreichischen Wirtschaftskammer auf den jungen ambitionierten Juristen aufmerksam und holte ihn zu sich ins Team. Die Reformierung des Sozialversicherungssystems war in vollem Gang und Neumann war bei Tausenden Sitzungen als Vertreter der Arbeitgeberseite in der Regierung Schwarz-Blau I unter Wolfgang Schüssel im Einsatz. „Es waren lange, inhaltlich profund geführte Auseinandersetzungen,“ erinnert sich Neumann, in denen das Pensionskonto, Gesundheitsreformen, Finanzierungsfragen und Präventionsagenden auf neue Fundamente gestellt wurden.
 

„Ich betrachte alles stets mit der Sozialversicherungsbrille“

THOMAS NEUMANN

Im Sozialversicherungsrecht immer am Ball

2009 wechselte Thomas Neumann in die SVA, wo er als Direktor und später als stellvertretender Generaldirektor Peter McDonald und Peter Haubner in der politischen Interessensvertretung unterstützte und das Programm „Selbständig Gesund“ sowie die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger entwickelte. „Jede SVA-Novelle ging über meinen Schreibtisch,“ erzählt er und dieses Know-how in der Sache ist ihm bis heute Anliegen und Freude zugleich. Seine Auseinandersetzung mit der Materie ist auch der Grund für seine Autorentätigkeit. „Wer am Ball bleiben will, muss die Novellen kennen“, sagt er und kündigt stolz die dritte Auflage seines GSVG-Kommentars für Manz an. „Ich betrachte alles stets mit der Sozialversicherungsbrille“, sagt er und hat den Anspruch, sein Wissen allgemein verständlich weiterzugeben.

Seit 2017 ist Thomas Neumann bei der BDO engagiert und leitet als Partner zusammen mit Claudia Sonnleitner das HR Tax Consulting Team, das Unternehmen und deren Personalabteilungen im Sozialversicherungs-, Arbeits- und Lohnsteuerrecht berät. „Es sind ein paar 10.000 gesetzliche Bestimmungen, mit denen wir es zu tun haben“, sagt er, weshalb er auch gerade das wissenschaftliche Netzwerk der BDO ausbaue, „um Expertise zu bündeln“.

Neumann ist aber nicht nur beruflich eng mit dem Sozialversicherungsrecht verwoben, sondern hat auch privat sehr viel damit zu tun: Seine Frau arbeitet im Dachverband der Österreichischen Sozialversicherungen. „Wir wissen, wie essenziell ein gut funktionierendes Kranken- und Sozialversicherungssystem ist“, so Thomas Neumann, leidet doch eines seiner beiden Kinder an Cystischer Fibrose, einer Erkrankung, die viele Spitalsaufenthalte notwendig macht.

Wenn er weder im Büro arbeitet noch im Kindermanagement eingesetzt ist, spielt Neumann gerne Tennis oder Tarock, letzteres allerdings aufgrund einer verletzten Achillesferse momentan öfter. Er kommt derzeit auch mehr zum „privaten Lesen“. Seine Passion sind historische Sachbücher, speziell über die englische Geschichte des 16. Jahrhunderts mit Thomas Morus und Thomas Cromwell, dem Berater Heinrichs des VIII. Auch die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts interessiert ihn brennend. Für solche privaten Lektüren setzt Neumann die Sozialversicherungsbrille dann stundenweise ab – und taucht in komplett andere Welten ein.