Home RECHTaktuell Gastkommentare Klimaproteste: Strafrechtliche Verantwortlichkeit

MACHEN SICH KLIMAKLEBER:INNEN STRAFBAR?

Klimaproteste: Strafrechtliche Verantwortlichkeit

 

Vertreter:innen der sogenannten Letzten Generation kleben sich auf Straßen fest oder beschütten Kunstwerke in Museen. Wie sieht es mit der Strafbarkeit der Klimaaktivist:innen nach dem aktuellen Recht aus? Mehr darüber weiß MANZ-Fachautor Robert Kert.

Artikel teilen
Robert Kert
© Roland Zygmunt
Robert Kert
Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht an der WU Wien
Redaktion
Reinhard Ebner
Datum
28. August 2023

Protestaktionen von Klimaaktivist:innen sorgen für heftige Diskussion über Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit. Auch der Ruf nach dem Strafrecht und Gefängnisstrafen wird mitunter laut. Die aktuellen Aktionen begründen jedoch nur in Ausnahmefällen eine gerichtliche Strafbarkeit.

„Rein passives Verhalten begründet mangels körperlicher Einwirkung keine Gewalt und damit keine Nötigung.“

ROBERT KERT, WIRTSCHAFTSUNIVERSITÄT WIEN

Straßenblockaden: Nötigung?

Eine Strafbarkeit wegen Nötigung setzt gem § 105 StGB voraus, dass jemand eine:n andere:n mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Die Nötigung verlangt als Tatmittel allerdings den Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung. Klar ist, dass es sich beim Festkleben oder Sitzen auf der Straße nicht um eine gefährliche Drohung handelt. Somit käme als Tathandlung nur die Anwendung von Gewalt in Betracht.

Als Gewalt gilt in Österreich – anders als in Deutschland – der Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder erwarteten Widerstands (Körperlichkeitstheorie). Bloß passives Verhalten – etwa durch Sitzblockaden, Ankleben oder Anketten – fällt nicht unter den Gewaltbegriff. Damit scheidet eine Strafbarkeit von Aktivist:innen, die sich an der Straße festkleben und den Verkehr blockieren, aus.
 

Fahrlässige Tötung und Körperverletzung

In der politischen Diskussion wird immer wieder vorgebracht, dass Aktivist:innen bestraft werden sollten, weil sie Einsatzfahrzeuge behindern würden. Damit wären sie verantwortlich zu machen, wenn in Notfällen nicht rechtzeitig geholfen werden könne.

In diesen Fällen ist an eine Strafbarkeit wegen der Delikte gegen Leib und Leben zu denken. Sowohl die Vorsatzdelikte (§§ 75, 83 ff StGB) als auch die Tatbestände der fahrlässigen Tötung (§ 80 StGB) oder Körperverletzung (§ 88 StGB) verlangen die (vorsätzliche oder fahrlässige) Herbeiführung des Todes oder einer Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung.

Voraussetzung dafür ist, dass der Tod oder die Verschlechterung einer Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass die Aktivist:innen den Tod oder die Körperverletzung durch ihre Handlungen (mit-)verursacht haben, indem sie die Straße blockiert haben und dadurch eine Verzögerung der Rettungsmaßnahmen eingetreten ist. Es müsste zunächst zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass der Tod oder die Intensivierung der Körperverletzung ohne die Blockade mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Miteinzubeziehen ist hier, inwiefern auch alternative Wege zum Unglücksort zur Verfügung gestanden wären, die das Erreichen in vergleichbarer Zeit ermöglicht hätten. Wie auch die in der Öffentlichkeit diskutierten Beispiele zeigen, ist diese Feststellung aufgrund des Großstadtverkehrs kaum möglich.

Zudem müsste der konkrete Kausalverlauf für die Demonstrant:innen vorhersehbar und objektiv zurechenbar sein, was in der Regel nicht der Fall sein wird. Im Ergebnis wird die Zurechnung des Todes oder der Verschlimmerung der Körperverletzung in den Fällen von Straßenblockaden an Grenzen stoßen, weil sich in solchen Fällen ein allgemeines Lebensrisiko des:der Betroffenen verwirklicht oder ein Verhalten Dritter, etwa anderer Autofahrer:innen, die keine Rettungsgasse bilden, den Risikozusammenhang durchbricht. Die Beurteilung muss allerdings jeweils im Einzelfall abhängig von den konkreten Umständen vorgenommen werden. Bei Bejahung des Risikozusammenhangs müsste schließlich geprüft werden, ob sich das Risiko des Erfolgseintritts durch das Verhalten der Aktivist:innen überhaupt wesentlich erhöht hat (Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten).

Anders wäre allerdings der Fall zu beurteilen, dass die Aktivist:innen eine Zufahrt zu einem Krankenhaus blockieren, sich unmittelbar vor ein erkennbar im Einsatz befindliches Einsatzfahrzeug stellen und es nicht weiterfahren lassen. Um eine Strafbarkeit der Aktivist:innen jedenfalls zu vermeiden, ist es ratsam, die Blockade so zu gestalten, dass Einsatzfahrzeugen stets die Durchfahrt durch die Menschenkette ermöglicht werden kann.

Gefährdung der körperlichen Sicherheit

Das zu Kausalität und Zurechnung Gesagte gilt grundsätzlich auch für den Tatbestand der Gefährdung der körperlichen Sicherheit (§ 89 StGB). Dass durch die Straßenblockade eine abstrakte Gefahr für Verletzte oder Kranke geschaffen wird, ist nicht ausreichend, sondern es muss eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Menschen herbeigeführt oder vergrößert werden. Der Tatbestand setzt darüber hinaus ein zumindest grob fahrlässiges Verhalten voraus. Das heißt, die Handlung muss aus Ex-ante-Sicht eines objektiven Beobachters eine außergewöhnlich hohe Unfallwahrscheinlichkeit begründen.

Sachbeschädigung durch Klimaktivist:innen?

In den vergangenen Monaten haben Klimaaktivist:innen immer wieder auch dadurch die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass sie sich an Ausstellungsexponaten festgeklebt oder Kunstwerke in Museen mit Flüssigkeiten bzw. Farbe beschüttet haben. Dies hat – soweit bekannt – bisher nicht zu einer Beschädigung an den Kunstwerken selbst geführt.

Eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung kann aber auch dann in Betracht kommen, wenn beispielsweise Wände, Schutzvorrichtungen oder Bilderrahmen zerstört, beschädigt oder verunstaltet werden, sofern auf die Substanz der Sache eingewirkt wird und die Aktivist:innen dies ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben. Lassen sich die Substanzen allerdings ohne größeren Aufwand beseitigen, liegt keine Sachbeschädigung vor. Nur wenn die Wiederherstellung oder Beseitigung der Farbe mit größerem Aufwand verbunden ist, handelt es sich um eine Sachbeschädigung. Wird ein Kunstwerk oder ein anderes Exponat in einem Museum zerstört, beschädigt oder verunstaltet, kann es sich um schwere Sachbeschädigung nach § 126 StGB handeln. Um Sachbeschädigung handelt es sich auch, wenn Autoreifen aufgestochen werden. Auch das bloße Ablassen der Luft aus einem Reifen eines Fahrzeugs macht dieses unbrauchbar, sofern nicht eine Luftpumpe in der Nähe ist.

„Die Drohung mit dem Strafrecht stellt eine völlig unangebrachte Reaktion auf die Proteste der Klimaaktivist:innen dar.“

ROBERT KERT, WIRTSCHAFTSUNIVERSITÄT WIEN

Kriminelle Vereinigung

Gem § 278 StGB ist eine kriminelle Vereinigung ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen. Dieser ist darauf ausgerichtet, dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung ein oder mehrere Verbrechen, andere erhebliche Gewalttaten gegen Leib und Leben oder eine Reihe ausdrücklich aufgezählter Verbrechen ausgeführt werden.

Aus den aktuellen Aktivitäten der Letzten Generation in Österreich lässt sich nicht schließen, dass sie auf die Begehung mehrerer oder einer der in § 278 StGB aufgezählten Katalogtaten ausgerichtet ist. Der Kern ihrer Tätigkeiten verfolgt den Klimaschutz, allenfalls mit verwaltungsstrafrechtlichen Übertretungen. Von einer Ausrichtung auf die Begehung strafbarer Handlungen könnte erst gesprochen werden, wenn bei Protesten etwa regelmäßig und bewusst schwere Sachbeschädigungen (oder andere Katalogtaten) begangen werden.

Ausweitung der Strafbarkeit?

Auch wenn sich die Aktivist:innen durch ihre Aktivitäten nach geltendem Recht in der Regel nicht (gerichtlich) strafbar machen, ist die von Seiten politischer Parteien geforderte Einführung neuer Tatbestände oder die Anhebung von (Freiheits-)Strafen weder sachlich geboten noch angemessen. In einem liberalen Rechtsstaat müssen auch verschiedene Formen zivilen Ungehorsams Platz haben, um auf ein Versagen staatlicher Institutionen hinzuweisen. Solange solche Akte zivilen Ungehorsams gewaltfrei ablaufen und verhältnismäßig im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Sicherheit sind, hat der Staat zurückhaltend bei der Anwendung von Sanktionen zu sein. Die ständige Drohung mit dem Strafrecht stellt jedenfalls eine unangebrachte Reaktion auf die Proteste der Klimaaktivist:innen dar.

Stark gekürzter und bearbeiteter Auszug des Fachbeitrags „Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Klimaaktivist:innen“ aus der „Österreichischen Jurist:innenzeitung“. Wie sich die Rechtslage in Österreich von jener in Deutschland unterscheidet und wie rechtlich valide die Rechtfertigung mit einem „Klimanotstand“ ist, lesen Sie im vollständigen Text der Ausgabe ÖJZ 5/2023 (Themenschwerpunkt „Klimakleber“).

Querverweise in die RDB wurden automatisch mit dem MANZ Linkbutler des MANZ Genjus Word Add-In erstellt.