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Legal Tech: (R)evolution im Recht durch KI und ChatGPT

„Keine Angst vor generativen Sprachmodellen!“, meinen Kai Jacob, Dierk Schindler und Bernhard Waltl, Vorstände des Liquid Legal Institute, im Interview mit RECHTaktuell. Was aber kann Künstliche Intelligenz für Jurist:innen und Autor:innen leisten?

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Kai Jacob
© Liquid Legal Institute
KAI JACOB
Vorstandsvorsitzender des Liquid Legal Institute
Dierk Schindler
© Liquid Legal Institute
DIERK SCHINDLER
Vorstand und Geschäftsführer des Liquid Legal Institute
Bernhard Waltl
© Liquid Legal Institute
BERNHARD WALTL
Vorstand des Liquid Legal Institute
Redaktion
Reinhard Ebner
Datum
22. November 2023

Sie sind Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Liquid Legal Institute. Worum handelt es sich dabei?

Kai Jacob: Das Liquid Legal Institute ist ein Thinktank, der sich mit Legal Tech-Themen beschäftigt. Formal sind wir ein deutscher Verein. Ziel ist es jedoch, Innovationen am Rechtsmarkt auf internationaler Ebene aufzugreifen und zu fördern. Dabei beschränken wir uns nicht auf Juristinnen und Juristen, sondern adressieren alle in der Branche Beschäftigten. Die Zukunft der juristischen Welt sehen wir interdisziplinär.

Unser Institut hat heute mehr als tausend Mitglieder. Dazu zählen die Rechtsabteilungen großer Konzerne wie Siemens, Merck oder Deutsche Telekom ebenso wie Kanzleien und Einzelanwälte oder auch Technologieunternehmen und Startups. Diese Diversität ist uns besonders wichtig.

„Leistungsfähige Algorithmen, sehr große Datenmengen und wesentlich erhöhte Rechnerkapazität – diese drei Komponenten sorgen für einen KI-Boom.“

BERNHARD WALTL, LIQUID LEGAL INSTITUTE

Wofür steht das „Liquid“ im Namen?

Dierk Schindler: Das ist ein Ausdruck dafür, dass sich der Aggregatzustand im Rechtsbereich ändern muss. Wir müssen flüssig werden, flexibel sein. Das monolithische Dasein der Rechtsbranche hat ein Ablaufdatum. Wesentlich ist künftig die Verbindung von Recht und Informatik.

Es braucht Informatikerinnen für die neuen Legal Tech-Tools, Legal Designer, die sich mit den Benutzerschnittstellen und der Ausgestaltung der Arbeitsabläufe beschäftigen, sowie Betriebswirtinnen und -wirte, die sich die entsprechenden Geschäftsmodelle überlegen.

Wir wollen nicht nur ein Thinktank, sondern auch ein Do-Tank sein. Das heißt, wir möchten konkrete Umsetzungen anregen und Themen vorantreiben.

Künstliche Intelligenz ist nichts grundsätzlich Neues, auch entsprechende Anwendungen gibt’s schon länger. Was hat sich in der jüngeren Vergangenheit geändert?

Bernhard Waltl: Es stimmt, dass der Begriff der KI schon seit Jahrzehnten von Informatikerinnen und Programmierern eingesetzt wird. Durch generative Sprachmodelle wird das qualitativ auf eine neue Ebene gehoben. Nun geht es darum, Computersysteme über Algorithmen zu befähigen, mit Texten so zu arbeiten wie Menschen, sie zu lesen, zu verstehen, zu generieren und Informationen daraus zu extrahieren.

Drei Zutaten kommen dabei zusammen: Zum ersten haben wir leistungsfähige Algorithmen, sogenannte künstliche neuronale Netze, zum zweiten sehr große Datenmengen, die wir mit diesen Algorithmen im Rahmen von sogenannten Trainings zusammenführen. Die dritte Komponente ist die Infrastruktur in Form von Rechenkapazität, um diese Trainings-Operationen durchzuführen.

Die Algorithmen gibt es zum Teil seit den 90ern des vorigen Jahrhunderts, über große Datenmengen verfügen wir auch schon länger. Neu ist die wesentlich erhöhte Rechnerkapazität und natürlich das effiziente Zusammenspiel der drei Komponenten.

„Große Unternehmen stellen Milliardenschecks aus, um die Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz voranzutreiben.“

DIERK SCHINDLER, LIQUID LEGAL INSTITUTE

Das Ganze ist also mehr Evolution denn Revolution...

Schindler: Es gibt Entwicklungsschritte, die vorausgegangen sind. Die Kombination der Elemente führt jedoch zu einer gänzlich neuen Situation. Ob man das in Summe als Revolution bezeichnen kann, werden die kommenden Jahre zeigen. Zurzeit wird sehr, sehr viel Geld investiert.

Microsoft, PwC, KPMG und andere stellen Milliardenschecks aus. Universitäten und private Forschungseinrichtungen stecken Zeit, Geld und Knowhow in neue Entwicklungen. Beachtlich sind im Übrigen auch die Gehälter. In Stellenausschreibungen des KI-Unternehmens OpenAI sieht man Einstiegsgehälter für nachgefragte Expertinnen und Experten von 900.000 US-Dollar im Jahr. Da sind wir bereits in der Größenordnung einer Vorstandsvergütung.

In der Verlagsbranche finden sich eher nicht die hoch kapitalisierten Unternehmen. Wie sollen Verlage da mithalten?

Waltl: Es zeigt sich der Trend, dass Sprachmodelle zu einer Art Basistechnologie werden. Verlage verwenden Datenbanken, sind jedoch im Normalfall keine Datenbank-Entwickler. Ähnlich lassen sich auch Sprachmodelle einsetzen und für die jeweilige Domäne anpassen, ohne dass man dafür ein Sprachmodell von Grund auf neu aufbauen müsste.

Welche Anwendungen sind im Verlagsbereich vorstellbar?

Waltl: Ein Bereich sind neuartige Tools zur Suche nach und Aufbereitung von Informationen. Denkbar sind auch Chatbot-artige Systeme, die eine Suchanfrage im Dialog konkretisieren und anschließend die gewünschten Inhalte bereitstellen.

Neue Dienstleistungen sind darüber hinaus für Autorinnen und Autoren möglich. Auf der anderen Seite braucht es im Verlagsbereich künftig wohl vermehrt Qualitäts-Checks, um sicherzustellen, dass nicht in Wahrheit ChatGPT als Autor hinter einem eingereichten Beitrag steckt.

Wie konkret könnten sich Suche und Bereitstellung von Informationen wandeln?

Waltl: Aus der Stichwortsuche wird die Semantische Suche. Auf eine konkrete Frage oder Problemstellung erfolgt eine Antwort, die juristischen Anforderungen genügt und diese mit den Datenquellen und Fundstellen verknüpft. LLMs sind erstmals in der Lage, eine umfassende Antwort auf eine Frage zu geben und den Kontext dazu zu liefern.

Der Kontext ist insofern nicht unwichtig, als generative Sprachmodelle bekanntlich mitunter halluzinieren. Wie kommt es dazu?

Jacob: Letztlich reihen die Systeme Worte auf Basis von Wahrscheinlichkeitsverteilungen aneinander. Die daraus resultierenden Texte sind sprachlich und orthografisch meist fehlerfrei, was sie besonders glaubwürdig wirken lässt. Manchmal erfindet der Algorithmus aber Inhalte, die auf keiner faktischen Grundlage beruhen.

In den USA gab es etwa den Fall, dass ein Anwalt eine Eingabe von einem generativen Sprachmodell generieren ließ und diese ungeprüft einreichte. Wie das Gericht feststellte, wurde darin auf Präzedenzfälle verwiesen, die es gar nicht gibt.

Dahinter steckt eigentlich ein mathematisches Problem. Das heißt nicht, dass man das nicht in den Griff bekommen kann, aber man muss es beim Einsatz derartiger Systeme berücksichtigen.

„Den Autorinnen und Autoren könnten KI-Anwendungen beispielsweise Recherche-Tools und thematische passende Quellen bereitstellen.“

KAI JACOB, LIQUID LEGAL INSTITUTE

Wie manipulierbar sind die Ergebnisse?

Schindler: Bei den Modellen, die momentan genutzt werden, weiß niemand, welche Trainingsdaten verwendet wurden. Wir würden nicht von vorsätzlicher Manipulation sprechen, aber natürlich können sich Weltsicht und beispielsweise Geschlechtervorurteile im Resultat widerspiegeln.

Es stellt sich zudem die Frage, wie aktuell die verwendeten Informationen sind. Als wir Ende 2022 erstmals mit generativen Sprachmodellen gearbeitet haben, wussten diese beispielsweise nichts vom Ukraine-Krieg. Analog ließe sich eine Antwort auf eine juristische Problemstellung vorstellen, die die jüngste OGH-Rechtsprechung zum Thema ausblendet.

Welche Dienste könnten KI-Anwendungen der schreibenden Zunft erweisen?

Jacob: Das System kann Recherche-Tools und thematisch passende Quellen bereitstellen. Es kann dabei helfen, Texte sprachlich zu verfeinern. Möglich wären auch Übersetzungen in Fremdsprachen oder in Einfache Sprache zum besseren Verständnis, die quasi auf Knopfdruck generiert werden.

Man muss also keine Angst haben vor generativen Sprachmodellen und Co.?

Schindler: Definitiv nicht. Neutral betrachtet, handelt es sich einfach um eine neue Technologie, die darauf wartet, gestaltet zu werden. Angesichts steigender Datenmengen ist eine vollständige Recherche ohne derartige Tools in Zukunft vermutlich gar nicht mehr vorstellbar.

Aufgaben, die wenig attraktiv, aber notwendig sind, können auf diese Art ausgelagert werden. Die kreativen Köpfe werden damit freigespielt. Richtig angewendet, führt das im Resultat zu einem Zugewinn an Zeit, Effizienz und Qualität.

MANZ bildet die Speerspitze bei der Nutzung generativer Sprachmodelle in der Rechtsrecherche am deutschsprachigen Verlagsmarkt. Erfahren Sie mehr über unsere erfolgreiche Proof-of-Concept-Studie.